Vor 2014 wurde im Donbass die Frage der Abtrennung oder wenigstens der Erlangung eines autonomen Status für die Region im Rahmen der Ukraine mehrfach aufgeworfen. Er war Objekt des Handels zwischen dem örtlichen Großkapital und Kiew. Bereits 1994 fand in den Oblasten Donezk und Lugansk ein Referendum statt, bei dem die Mehrheit der Teilnehmenden sich für einen föderativen Aufbau aussprachen. Das nächste Mal wurde die Frage einer Föderalisierung 2004 während eines Kongresses in Sewerodonezk gestellt. Damals trafen Vertreter der südöstlichen Oblaste der Ukraine die Entscheidung, ein Referendum über die Ausrufung einer Autonomie für den Donbass durchzuführen, wenn Wiktor Janukowitsch nicht als Präsident der Ukraine anerkannt würde. Nach der „dritten Runde“ der Wahlen wurde trotz allem Wiktor Juschtschenko Präsident, in der Folge wurde begonnen, weitaus häufiger über die Föderalisierung des Landes zu sprechen.
Vor allem die Partei der Regionen, die seinerzeit die Interessen der größten Kapitals in der Ukraine vertrat, sprach mehr als die übrigen über eine Föderalisierung. Dieses Kapital strebte nach der Erlangung der ökonomischen Herrschaft auch zur politischen Herrschaft. Dafür war es bereit, das Land zu teilen. Schon im Jahr 2005 wurden Beschuldigungen bezüglich Separatismus gegen eine Reihe von Abgeordneten der Ukraine und ehemalige Gouverneure der Oblaste Charkow und Lugansk vorgebracht. Aber das aufsehenerregendste Ereignis war die Festnahme des Vorsitzenden des Donezker Oblastparlaments Boris Kolesnikow durch die Staatsanwaltschaft. Tatsächlich war es so, dass er wegen Separatismus vorgeladen wurde, aber unter dem Vorwurf der Erpressung festgenommen wurde. Es ist seltsam, aber die Festnahme Boris Kolesnikows war beiden Seiten Recht. Wiktor Juschtschenko brachte die Losung „Banditen ins Gefängnis“ in die Welt und die Partei der Regionen erklärte demonstrativ in den Massenmedien, wie hart die orangene Regierung „Kämpfer für eine Idee“ bestraft.
Während die Aufmerksamkeit der Wählerschaft auf die Festnahme des Vorsitzenden des Donezker Oblastparlaments gerichtet war, wurden gleichzeitig zwischen dem Präsidenten und den „Regionalen“ Verhandlungen geführt, übrigens recht erfolgreich. Einen Monat nach der Freilassung von Boris Kolesnikow entließt Wiktor Juschtschenko die Premierministerin Julija Timoschenko und im September 2005 wurde mit aktiver Unterstützung von Abgeordneten der Fraktion der Partei der Regionen Jurij Jechanurow neuer Premierminister. Je mehr sich die Wähler von der Prinzipienlosigkeit der Partei der Regionen überzeugten, desto geringer wurde deren Popularität. Wie der Kampf für die russische Sprache als zweite Staatssprache zusammen mit der Wahlkampfkampagne eingestellt wurde, so vergaßen die „Regionalen“ die Durchführung eines Referendums für eine Föderation direkt nach dem Abschluss der Vereinbarungen mit Wiktor Juschtschenko. Seit dem Sieg von Wiktor Janukowitsch bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2010 und bis zu seiner Absetzung im Jahr 2014 hat die Partei der Regionen die Frage des Föderalismus überhaupt nicht aufgeworfen.
Am 22. Februar 2014 fand in Charkow eine Besprechung von Abgeordneten aus dem Südosten der Ukraine statt, auf der sie ihre Bereitschaft erklärten, im Zusammenhang mit dem Staatsstreich in Kiew die gesamte Staatsgewalt zu übernehmen. Aber die weitere Handelsetappe dauerte nicht lange. In Donezk beispielsweise versuchten die örtlichen Staatsorgane, die noch eine Woche zuvor über das Thema einer Nichtunterordnung unter Kiew spekuliert hatten, bereits am 1. März eine Kundgebung zur Unterstützung der Zentralregierung zu organisieren. Zehntausende von Kundgebungsteilnehmern unterstützen derartige Aktivitäten nicht, sie forderten die Absetzung der Beamten, die von der Zentralregierung anerkannt waren, sowie die Durchführung eines Referendums über den Status der Region. Nachdem der Vorsitzende der staatlichen Donezker Oblastverwaltung Andrej Schischazkij, ein Sprachrohr des Donezker Oligarchen Rinat Achmetow, die Forderungen der Kundgebungsteilnehmer ignorierte, wurde ein Versuch unternommen, das Verwaltungsgebäude zu stürmen.
Der Hauptunterschied der Ereignisse des Jahres 2004 im Südosten zu den Ereignissen im Jahr 2014 liegt darin, dass sie sich im ersten Fall vollständig unter der Kontrolle örtlicher Oligarchen befanden und im Kampf gegen andere Oligarchengruppierungen genutzt wurden, im zweiten Fall aber gegen deren Willen geschahen. Die ganze Sache liegt darin, dass sich innerhalb von zehn Jahren das Gleichgewicht der Kräfte sowohl innerhalb des Landes als auch außerhalb verändert hatte. Die Oligarchen stützten sich bei der Klärung ihrer Fronten auf das Kleinbürgertum und das Proletariat, aber im Jahr 2014 geriet das kleinbürgerliche Element außer Kontrolle und begann Anspruch auf eine selbständige Rolle zu erheben. Die Führer des „Antimaidan“ und des „russischen Frühlings“ im Donbass stammen angefangen vom ehemaligen „Volksgouverneur“ Pawel Gubarjow bis hin zum derzeitigen Vorsitzenden des Volkssowjets der DVR Denis Puschilin aus dem Kleinbürgertum. Darin besteht der hauptsächliche Unterschied des „Antimaidan“ zum „Euromaidan“, der von Anfang an von Oligarchen gesteuert wurde.
Im Jahr 2004 kontrollierten auch die Donezker Oligarchen den örtlichen „Separatismus“ vollständig. Auf der Welle der bekannten Ereignisse entstand eine Reihe von gesellschaftlichen Organisationen einschließlich „Donezkaja Respublika“. So arbeitete Alexandr Zurkan, zu diesem Zeitpunkt Vorsitzender und einer der Gründer dieser Organisation, während der Präsidentschaftswahlen 2004 im Stab von Wiktor Janukowitsch, was auf eine gewisse Verbindung zwischen der Tätigkeit der Partei der Regionen und dem Erscheinen von „Donezkaja Respublika“ hinwies. Das große Kapital versuchte seine Interessen als Interessen des gesamten Donbass und sogar des Südostens der Ukraine auszugeben. Deshalb war es für die „Regionalen“ wichtig zu zeigen, dass die Aufrufe zur Bildung einer Föderation nicht so sehr von ihnen als vom „Volk“ ausgingen. Selbst wenn Organisationen wie „Donezkaja Respublika“ ausschließlich auf Initiative ihrer Gründer entstanden wären, so wäre deren gesellschaftliche Aktivität dennoch nicht über den Rahmen hinausgegangen, der vom großen Kapital gesetzt wurde.
Im Jahr 2014 änderte sich die Situation im Donbass. Derzeit ist „Donezkaja Respublika“ die führende Kraft in der DVR, aber unter den Persönlichkeiten des nicht anerkannten Staates gibt es keine Oligarchen. Der „Antimaidan“ im Donbass war von Anfang an eine demokratische Bewegung, d.h. eine selbständige Bewegung des Kleinbürgertums. Die Oligarchen sind dagegen in einer einheitlichen Front gegen sie aufgetreten und haben für eine Zeit den Kampf untereinander vergessen. Die DVR hat sowohl dem „Herrn des Donbass“ Rinat Achmetow als auch seinem nächsten Konkurrenten Sergej Taruta den Krieg erklärt. Aber die Aktivitäten selbst des radikalsten Kleinbürgertums sind dennoch halbherzig. Bis zum letzten Moment versuchte es, sich mit den örtlichen Oligarchen zu arrangieren, sie davon zu überzeugen, dass keinerlei Nationalisierungen durchgeführt werden. Selbst die im März 2017 eingeführte äußere staatliche Leitung der Unternehmen, die früher der Großbourgeoisie gehörten, sollte nicht in die Irre führen. Dies bringt den Donbass dem Sozialismus nicht näher. Schon Friedrich Engels schrieb im „Anti-Dühring“, dass es in einer kapitalistischen Gesellschaft Fälle gibt, wo der Staat gezwungen ist, die Leitung einiger Bereiche der Ökonomie unter seine Kontrolle zu nehmen.
Die im Donbass entstandene Situation setzte die kleinbürgerliche Idee des Erhalts von Marktbeziehungen ohne eine Oligarchie um. Das Problem liegt darin, dass eine solche Gesellschaft nicht in der Lage ist, lange Zeit zu existieren. Die Logik der Ware-Geld-Beziehungen ist so, dass sie entweder überwunden werden, d.h. der Kapitalismus wird durch den Sozialismus ersetzt, oder zum Ausgangspunkt zurückkehren. Sobald die DVR versuchte aus dem Einfluss der einen Oligarchen herauszukommen, so kam schon die Gefahr von Seiten anderer auf. Nach einigen Informationen versucht Sergej Kurtschenko – ein ukrainischer Oligarch, der der Familie Janukowitschs nahe steht — auf die Ökonomie der Republik Einfluss zu nehmen. Nach dem Staatsstreich in Kiew floh er wie der Präsident aus dem Land und lebt derzeit in Russland.
Aber welche Rolle spielt das Proletariat in den Ereignissen im Donbass? Es war zweifellos an ihnen beteiligt, aber nicht als eigenständige Kraft, sondern als Teil der demokratischen Bewegung. In wenigen Ausnahmen handelten Arbeiter organisiert und traten mit eigenen Forderungen auf. In einigen Städten, in Unternehmen und auf zentralen Plätzen, organisierten sie einige Kundgebungen zur Unterstützung der DVR. Die größte Demonstration fand am 28. Mai 2014 statt. Etwa tausend Bergleute nahmen an einem Fußmarsch als Zeichen des Protestes gegen die „antiterroristische Operation“ im Donbass teil. Er fand drei Tage nach der Bombardierung der Stadt durch die Kiewer Luftstreitkräfte statt. Die Kämpfe vergrößerten die Gefahr von Unfallsituationen in den Unternehmen erheblich. Geschosstreffer auf ein Umspannwerk bedeuten für die Bergleute unausweichlichen Tod, deshalb gingen sie in Protesten auf die Straßen. Es ist bemerkenswert, dass die Versuche Rinat Achmetows einige Tage zuvor, in Mariupol Protest von Arbeitern gegen die DVR zu organisieren, keinen besonderen Erfolgt hatten.
Im Donbass trat die große Masse der Arbeiter gegen den Staatsstreich in Kiew auf und sympathisierte in der Folge mit der DVR. Die Sache ist die, dass die Teilnehmer des „Euromaidans“ gegenüber dem Donbasser Proletariat Verachtung zeigten, es als „Arbeitsvieh“ bezeichneten und noch vor dem Staatsstreich Kommandounternehmen in den Südosten durchführten und darauf hofften, die „Revolution“ dorthin zu exportieren. Im Zusammenhang damit, dass die Oligarchen, einschließlich der Donezker, den „Euromaidan“ unterstützten, wandte sich das Proletariat auch gegen sie. Im Donbass waren antioligarchische Losungen zu hören, aber sie wurden nicht durch den Protest gegen die Ausbeutung als solche hervorgerufen, sondern gegen die Kapitalisten als Anhänger und Beteiligte am Staatsstreich. Hier haben wir es nicht mit einer Klassenposition zu tun, sondern mit lokalen Patriotismus. Und das ist überhaupt nicht verwunderlich, weil die Einführung von Klassenbewusstsein die Aufgabe der Kommunisten ist. Andernfalls wird das Proletariat weiter die Rolle des „linken Flügels der Bourgeoisie“ spielen.
Aus den Ereignissen im Donbass kann man die folgende Schlussfolgerung ziehen. Unter bestimmten Umständen kommen die Massen aus einem unbeteiligten Zustand heraus und sind nicht nur zu passiver Beteiligung an den Ereignissen, d.h. zur Beteiligung an Kundgebungen und am Referendum, sondern auch zu aktiven Handlungen bereit. Das betrifft auch die Arbeiter. So wurde mit Beginn der Kämpfe die „Bergmannsabteilung“ gegründet, in der insbesondere Bergleute des Skotschinskij-Bergwerks waren. Einer der Kommandeure der Einheit ist auch Bergmann. Heute leitet er die Gewerkschaftsorganisation. Die Abteilung nahm an vielen Kämpfen teil, einschließlich des Kampfes um Schachtjorsk. Die militärische Erfahrung von Donbasser Arbeitern wird natürlich nicht spurlos vergehen. Denn eine notwendige Bedingung für den Sieg einer sozialistischen Revolution ist ein in Kämpfen gestähltes Proletariat unter Leitung der revolutionären Partei der Kommunisten. Aber über die Rolle der Partei in der Arbeiterbewegung geht es dann in den nächsten Teilen des Artikels, die auf den Arbeiten von Lenin, Lukács und Gramsci gegründet sein werden.
Stanislaw Retinskij, Sekretär des ZK der KP der DVR